Beurteilungstext
Die Verfassenden würdigen das THF ausdrücklich als gemeinschaftlichen Freiraum mit überregionaler Bedeutung und Wertschätzung. Vor diesem Hintergrund empfehlen sie, auf eine definierte und dauerhafte Bebauung zu verzichten und den Ort als eine Möglichkeit für Experimente zu verstehen. Der Vorschlag zielt auf ein prozesshaftes und partizipatorisches Vorgehen. Hierbei geht es dezidiert nicht um ein hartes Festhalten am derzeitigen Bestand, sondern um ein gemeinschaftliches und öffentliches „Ausprobieren“ und Weiterentwickeln, welche Ansatzpunkte für die künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen relevant sind. Zentraler Fokus wird auf die Themen Klimaresilienz, gesellschaftlichen Zusammenhalt und resiliente Infrastrukturen gelegt.
Wenige feste planerische und gestalterische Vorschläge werden durch eine große Anzahl an vielfältigen Ansatzpunkten ergänzt, deren Umsetzung durch ein Regelwerk definiert ist. Die Fläche wird grundsätzlich in zwei Bereiche geteilt. Innerhalb des Taxiways soll das bestehende Wiesenmeer vor einer allzu intensiven Nutzung bewahrt werden, um dort im Sinne der Biodiversität auch geschützten Arten einen Ort zu geben. Angelehnt an den Taxiway wird ein sogenannter „Aha-Graben“ vorgeschlagen, eine niedrige Mauer mit anschließendem Wassergraben, der einen direkten Zugang deutlich erschwert und auf wenige Zugänge wie die Start- und Landebahnen sowie das Hauptwegenetz beschränkt ist. Mit dieser Maßnahme wird eine durchaus wirksame, aber auch hinterfragungswürdige Barriere eingeführt, ohne dabei die erfahrbare Weite des Feldes einzuschränken. Im Preisgericht wird kontrovers diskutiert, inwieweit eine solch aufwändige und in den Bestand eingreifende bauliche Veränderung zur Erreichung des sinnvollen Zieles notwendig ist.
Im Gegenzug sollen die außen begrenzenden Zäune vollständig abgebaut werden, um im äußeren Ring eine ganztägige Zugänglichkeit zu ermöglichen. Ob der genannte Ausgleich durch ordnungspolitische Überwachung für die Gewährung der nächtlichen Sicherheit und Ordnung ausreicht, wird offengelassen. Im äußeren Ring entsteht der sogenannte Think-Belt, in dem unterschiedliche Entwicklungen ausprobiert werden sollen. Dezidiert wird das Flughafengebäude und das Vorfeld miteinbezogen, da es einen relevanten Bestandteil des Belts darstellt.
In diesem umlaufenden Belt werden umfangreiche Vorschläge für Entwicklungen aufgezeigt, wie die fokussierten Themen auf der Fläche angegangen werden können. Sport- und Freizeiteinrichtungen, Einrichtungen für gemeinschaftliche Aktivitäten wie eine „Montage City“, Orte für Austausch, politische und kulturelle Bildung, Flächen für experimentelles Bauen im Sinne der Zirkularität bilden den bunten Strauß an Möglichkeiten.
Die Zugänglichkeit der Fläche soll von allen Seiten verbessert werden. Eine Entfernung des Zauns ermöglicht einen niederschwelligen Zugang von allen Seiten. Eine Öffnung des ehemaligen Flughafengebäudes, verbunden mit einer Nutzung des zentral gelegenen Bauteils der mittleren Fläche als neue Zentralbibliothek und der Vorfläche als Potenzialfläche für „angewandte Baukultur“, bindet das monumentale Gebäude in die Entwicklung ein. Auf der Neuköllner Seite werden die ankommenden Straßen durch sogenannte „Sunset-Brücken“ auf das Feld verlängert, um mit großen Treppenanlagen diesem dichtesten angrenzenden Stadtteil attraktive Aufenthaltsmöglichkeiten zu geben.
Im Sinne der Klimawandelanpassung soll in diesem Bereich in Anlehnung an den historischen Sportpark ein Wald mit Lichtungen auch für die künftig heißeren Tage eine Aufenthaltsmöglichkeit auf dem Feld entstehen. Ob die vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen, den Feldrand zum Tempelhofer Damm zu qualifizieren, wird von der Jury in Frage gestellt.
Zur besseren Anbindung des Feldes wird ein neuer Straßenbahnring mit Anschluss an die Neuköllner Stationen vorgeschlagen, der die bestehenden Gleisanlagen im Süden aufnimmt. Ein neuer S-Bahnhalt im Südosten wird durch einen Think-Belt-Hub ergänzt, über den auch Materialtransporte auf und vom Feld abgewickelt und die Ideen der Zirkularität ermöglicht werden können.
Für die dezidiert offene Entwicklung wird ein kluges begleitendes Reglement vorgeschlagen, innerhalb dessen die Projekte entstehen sollen. Alle Vorhaben sollen grundsätzlich eigenverantwortlich und selbstorganisiert stattfinden und in einer öffentlichen und für alle transparenten Form. Ideen, die im Belt ausprobiert werden, sollen für die Allgemeinheit und Gemeinschaft offen sein, grundsätzlich dem Gemeinwohl dienen und auf andere Bereiche der Stadt übertragbar sein. Begleitet wird der Prozess durch verschiedene formelle Gremien wie dem öffentlichen Feldforum, das eine Plattform für das Einbringen und Bewerten von Ideen bildet, der Feldkoordination aus gewählten Vertretenden aus Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung, das verantwortlich über die Umsetzung von Projekten entscheidet, sowie der Feldermöglichung, die als feste Institution vor Ort die operative Unterstützung der Vorhaben darstellt. Alle zwei Jahre soll eine Evaluation unter den Akteurinnen und Akteuren im sogenannten „Theatre des Negotiations“ erfolgen, um den jeweiligen Beitrag zur Zielerreichung zu bewerten.
Die Arbeit bildet insgesamt einen sehr intensiv ausgearbeiteten Beitrag, wie mit ein paar festen Setzungen und einem klaren prozessualen Rahmen eine Entwicklung auf der Fläche ermöglicht werden kann, die relevante Aspekte des Zusammenlebens in der Stadt thematisiert, heute aber die Antworten noch nicht abschließend kennt. Unter Berücksichtigung vieler Anregungen aus den Dialogwerkstätten, einem teilweise spielerischen Herangehen im Sinne der Kinderbeteiligung, bildet die Arbeit gerade durch die offene Herangehensweise eine sehr gute Grundlage für einen künftigen Umgang mit den unterschiedlichen Bedarfen auf dem Tempelhofer Feld.